Folsäuremangel in den ersten Wochen der Schwangerschaft ist Ursache einers vierfach erhöhten Risiko an Missbildungen des zentralen Rückenmarkes (Spina bifida, offener Rücken). Dies ist seit Jahrzehnten bekannt und unstrittig. Jetzt stellt eine Studie fest: Auch ein geringeres Hirnvolumen beim Kind kann die Folge eines Folsäuremangels während der Schwangerschaft sein.
Folsäure vor und während der Schwangerschaft
Seit 2015 empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE), generell 300 Mikrogramm Folsäure oder Vitamin B9 täglich zu sich zu nehmen. Tatsächlich liegt Schätzungen zufolge bei zwei von drei Bundesbürgern die Zufuhr unterhalb dieses Richtwertes. Dies ist unter anderem ein Grund dafür, warum Experten und Gesundheitspolitiker eine obligatorische Anreicherung bestimmter Grundnahrungsmittel mit Folsäure fordern.
Dies umso mehr, da insbesondere Frauen während der Schwangerschaft und sogar schon einige Wochen vor der Empfängnis aufgefordert sind, sich mit täglich zwischen 550 und 600 Milligramm Folsäure zu versorgen. Nicht nur klinische Studien sondern auch Erfahrungen aus Ländern, in denen bereits eine Folsäure-Anreicherung beispielsweise des Mehls stattfindet, zeigen: Auf diese Weise kann die Entstehung des gefürchteten Neuralrohrdefekts – eine gravierende Missbildung in der Embryonalentwicklung – massiv eingedämmt werden.
Folsäure Studie am größten medizinischen Zentrum der Niederlande
Ein Folsäuremangel während der Schwangerschaft kann aber weitaus mehr negative Folgen nach sich ziehen. Dies legt nun eine Studie nahe, die am Medizinischen Zentrum der Erasmus Universität (Erasmus MC) in Rotterdam, Niederlande, angestellt wurde. Das Erasmus MC gehört zu den größten sowie anerkanntesten universitären Medizinischen Zentren in Europa.
Die Wissenschaftler hier fanden heraus, dass eine vorgeburtliche Minderversorgung mit Folsäure auch ein geringeres Gehirnvolumen zur Folge haben kann. Als Spätfolge entdeckten sie zudem bei betroffenen Kindern im Alter von sechs bis acht Jahren Einschränkungen in der sprachlichen Entwicklung sowie Defizite der Gehirnleistung beim räumlichen Sehen.
Teil der “Generation R”-Studie
Die Untersuchung selber war Teil der großangelegten prospektiven Studie “Generation R”, bei der die Entwicklung von rund 10.000 Heranwachsenden vom Fötus bis zum jungen Erwachsenenleben dokumentiert wurde. Im Zentrum des Projektes “Generation R” stand dabei die Bedeutung von frühen Einflüssen aus der Umwelt sowie von genetischen Faktoren auf die persönliche Entwicklung. Aus diesen Erkenntnissen sollten Strategien zur Optimierung der Gesundheitsversorgung für Schwangere und Kinder entwickelt werden.
Wissenschaftler gingen bei Blutwerten von unter acht Nanomol/Liter von einem Folsäuremangel aus
Für die vorliegende Studie wurden die Daten einer aus 256 Kindern bestehenden Stichprobe untersucht. Dazu wurden zunächst die Blutproben, die ihren Müttern während der Schwangerschaft entnommen wurden, eingeteilt in solche mit einem niedrigen Folsäuregehalt von unter acht Nanomol pro Liter und solche mit einem normalen Gehalt von acht Nanomol je Liter oder darüber. Diese noch grobe Unterteilung wurde für weitere Analysen zunehmend feiner differenziert.
Vergleich mit der Gehirnanatomie und dem Verhalten der Kinder sechs bis acht Jahre später
Begleitend dazu fanden Befragungen der Mütter zu Verhaltensstörungen sowie emotionalen Problemen der Kinder, die mittlerweilen ein Alter zwischen sechs und acht Jahren erreicht hatten, statt. Außerdem nahmen die Heranwachsenden an Intelligenztests teil. Zur Feststellung ihres Gesamthirnvolumens sowie weiterer anatomischer Daten ihres Gehirns schließlich wurden Untersuchungen über die Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt. Berücksichtigung fanden ebenfalls Faktoren wie das Bildungsniveau und das Schwangerschaftsalter der Mütter sowie ihr Body Mass Index (BMI) vor der Schwangerschaft und ob beziehungsweise wie lange die Säuglinge gestillt wurden. Lediglich zur Dauer der Stillzeit lagen in 48 Prozent der Fälle keine ausreichenden Daten vor, wobei die Forscher hier von einem zu vernachlässigenden Einfluss auf die Resultate der Untersuchung ausgingen.
Folsäuremangel während der Schwangerschaft hat Folgen
Das Hauptresultat der Studie war, dass abhängig von den Folsäure-Niveaus ihrer Mütter während der Schwangerschaft, unterschiedliche Hirnvolumen bei den Kindern festgestellt wurden. War die Versorgung mit Folsäure niedrig, lag ein signifikant kleineres Gehirn vor als bei einer normalen Schwangerschaftsversorgung mit dem B-Vitamin. Als Einflussfaktor wurde hier zudem festgestellt, dass Mütter mit normalem Folsäure-Spiegel eher Folsäure-Ergänzungen nutzten, während Mütter mit niedrigen Werten öfter auch in der frühen Schwangerschaft rauchten.
Darüber hinaus waren bei niedrigen vorgeburtlichen Folsäure-Werten gemeinsam mit einem höheren Homocystein-Spiegel später häufiger Mängel bei der sprachlichen Entwicklung und beim räumlichen Sehen sowie ein niedrigerer Intelligenzquotient die Folge. Die Regulierung der Aminosäure Homocystein erfolgt insbesondere über einige B-Vitamine. Ein Zusammenhang mit dem Hirnvolumen oder Verhaltensstörungen konnte aber weder mit dem Homocystein– noch mit dem Vitamin-B12-Spiegel in Verbindung gebracht werden.
Defizite können ausgeglichen werden
Dass bei einer niedrigen Versorgung mit Folsäure während der Schwangerschaft später vermehrt emotionale Probleme und Verhaltensstörungen allerdings nur bis zum sechsten Lebensjahr festgestellt wurden, führten die Wissenschaftler auf ausgleichende Umweltfaktoren zurück. Das heißt, etwa ab dem sechsten Lebensjahr werden die Einflüsse von Familie und Freunden, aber auch durch Kindergarten und etwas später durch die Schule so stark, dass die Folgen der vorgeburtlichen Minderversorgung kompensiert werden können.
In der Studie mit nunmehr Sechs- bis Achtjährigen war aktuell also keines der Kinder mehr auffällig. Eine gesunde und ausgewogene Ernährung sowie ein intaktes soziales Umfeld können demnach die durch Folsäuremangel während der Schwangerschaft entstandenen Defizite in diesem Bereich weitgehend neutralisieren. Sinnvoller ist natürlich, wenn diese Defizite erst gar nicht entstehen und bei der Ernährung stets auf eine gute Versorgung auch mit Folsäure geachtet wird.
Quelle: Ars, C. L., et al., Prenatal folate, homocysteine and vitamin B12 levels and child brain volumes, cognitive development and psychological functioning: the Generation R Study, Br J Nutr. 2016 Jan 22, Epub published ahead of print.