Baldrian gilt als der sanfte Förderer von Beruhigung und Schlaf. In der Naturheilkunde ist es vor allem wegen seiner beruhigenden Wirkung bekannt. Es ist daher auch ein Arzneimittel, kein Nahrungsergänzungsmittel. Wegen seiner guten allgemeinen Verträglichkeit ist es aber frei erhältlich und nicht rezeptpflichtig.
Baldrian ist ein sehr weit verbreitetes Kraut, von dem manche Vertreter bis zur Größe eines Strauches heranwachsen können. Es kommt auf allen Erdteilen vor auĂźer Australien und der Antarktis. Der botanische Name der mehrjährigen Gewächse lautet Valeriana und war bis zum Hochmittelalter auch neben “Katzenkraut” die gebräuchliche Bezeichnung. Ihre Herkunft ist nicht ganz geklärt, aber die meisten Indizien sprechen dafĂĽr, dass das lateinische Wort “valere” (fĂĽr kräftig oder gesund sein) namensgebend war.
Artenvielfalt des Baldrians mit unterschiedlichen Wirkungen
Bei der traditionellen Anwendung von Baldrian ist zu beachten, dass es zahlreiche Varianten der Pflanze mit unterschiedlichen Wirkungen gibt. So wächst der mexikanische Baldrian (Valerieria edulis) vornehmlich in Regionen oberhalb von 2.500 Metern und wird in Mittelamerika nicht nur gegen nervöse Unruhe eingesetzt, sondern auch äußerlich bei Verletzungen.
Dies trifft auch auf die ebenfalls in höheren Regionen wachsenden, indischen Varianten ds Baldrians (Valeriana wallichii und Valeriana jatamansii) zu, denen darüber hinaus eine Wirkung gegen Entzündungen insbesondere bei Bronchitis, Asthma und Husten sowie gegen Schmerzen, Übelkeit und Frauenleiden zugesprochen wird. Die mexikanischen wie die indischen Arten enthalten jedoch recht hohe Konzentrationen an Valepotriaten, Baldrian-typischen Pflanzenstoffen. Valepotriate gelten als nicht ganz unbedenklich, da sie möglicherweise zellschädigend wirken, was aber letztgültig nicht belegt ist.
Dennoch wird derzeit von einer Einnahme in höheren Mengen abgeraten. Im heimischen oder Echten Baldrian (Valeriana officinalis) ist weit weniger von diesen Stoffen enthalten, die bei der Verarbeitung zu Tee oder Tinkturen bis auf unbedenkliche Konzentrationen zu den ätherischen Ölen Valerensäure, Isovalerensäure und Isovaleriansäure abgebaut werden. Daher ist im Folgenden nur die Rede von Echtem Baldrian.
Das steckt in echtem Baldrian
Beim Restgehalt an Valepotriaten, der zwischen 0,5 und zwei Prozent liegt, handelt es sich hauptsächlich – bis zu 90 Prozent – um Valtrat beziehungsweise sein Abbauprodukt Baldrinal und einem Valepotriate-Baustein, der Isovaleriansäure, die gleichzeitig auch ein Metabolit der essentiellen Aminosäure Isoleucin ist. Isovaleriansäure ist zudem maĂźgeblich fĂĽr den Baldrian-typischen Geruch.
Dazu kommen kleinere Mengen an Alkaloiden sowie die fĂĽr die BauchspeicheldrĂĽse wichtige gamma-Aminobuttersäure (GABA – gamma-Aminobutyric acid). Den Rest machen unter anderem Flavonoide, Gerbstoffe, Cholin sowie die Aminosäuren Glutamin und Arginin aus.
Inhaltsstoffe des Baldrians verändern gerne ihre Form
Zu flüssigen oder trockenen Extrakten beziehungsweise zu Tee verarbeitet werden die Wurzeln des Baldrians. Sie weisen kaum einen Geruch auf. Dieser entsteht erst bei der Trocknung, da sich dabei die Isovaleriansäure löst. Die beruhigende, sedative Wirkung des Baldrians sowie seine stressreduzierenden Eigenschaften insbesondere vor Prüfungen gelten als ebenso sanft wie unbestreitbar.
Allerdings bereitet der genaue Wirkmechanismus den Wissenschaftlern noch Kopfzerbrechen. Dies hängt hauptsächlich mit der Reaktionsfreudigkeit der Aktivstoffe im Baldrian zusammen. Einerseits werden so vermutete mutagene oder zellschädigende Wirkungen der Valepotriate verhindert. Andererseits ist die durch Abbau entstehende Zusammensetzung an ätherischen Ölen kaum bestimmbar sowie je nach Lagerdauer und Hinzufügungen variabel.
Alkohol beispielsweise kann den beruhigenden Effekt vermindern oder unter bestimmten Konstellationen die Wirkung verstärken. Die Herstellung eines standardisierten Präparates stellt also hohe Anforderungen an die verwendeten Verfahren. Dabei gilt in der Regel Valerensäure als Indikator für die Wirksamkeit, wobei einzuwenden ist, dass nach neueren Untersuchungen die Zusammensetzung aus allen Pflanzenstoffen des Baldrians die Wirkung des Wurzelextraktes ausmacht.
Bonner Wissenschaftler fanden heraus, was im Baldrian schläfrig macht
Zu diesen weiteren Stoffen gehören auch die sogenannten Lignane, die mit einer bahnbrechenden Entdeckung von Professor Dr. Christa Müller und ihrem Team an der Universität Bonn zusammenhängen. Müller entdeckte nämlich im Jahre 2002 sechs bis dahin unbekannte Lignane, von denen eines nachweisbar den Schlaf fördert.
Dieser Nachweis gelang dadurch, weil Rezeptoren, welche die Müdigkeit auslösen, bekannt sind. Einer dieser Rezeptoren heißt A1-Rezeptor und genau mit diesem geht das von Müller und ihrem Team entdeckte Lignan eine Bindung ein, worauf hin der Mensch schläfrig wird (1).
Höhere Wirkung des Baldrians bei Patienten mit Schlafstörungen
Bereits rund 20 Jahre vorher wurde in der Schweiz eine Studie durchgeführt, die bis heute zitiert wird. Hier bekamen 128 Teilnehmer abwechselnd entweder 400 Milligramm flüssig extrahierten Baldrians, eine flüssige Lösung mit 60 Milligramm Baldrian und 30 Milligramm Hopfen oder ein Placebo. Die Reihenfolge der Einnahme wurde nach dem Zufallsprinzip festgelegt, wobei jedes Präparat insgesamt drei Mal vor der Bettruhe eingenommen wurde. Der Zeitraum der Zufuhr betrug also insgesamt neun Nächte, allerdings nicht von aufeinanderfolgenden Tagen. Jeweils am Morgen nach der Einnahme füllten die Probanden einen Fragebogen aus.
Im Resultat gaben die Teilnehmer, die das reine Baldrian-Extrakt verwendet hatten mit statistischer Signifikanz Verbesserungen ihres Schlafes an. Dies betraf die Einschlafzeit, die Qualität des Schlafes und die Anzahl der Wachphasen während der Nacht. Besonders deutlich waren die Verbesserungen unter den 61 Probanden, die vor Beginn der Studie Angaben machten, die auf einen dauerhaft schlechten Schlaf schließen ließen (2)
Baldrian verkĂĽrzt die Schlaflatenz
In einer zweiten Studie wollte das gleiche Team in Erfahrung bringen welche Auswirkungen Baldrian auf die Schlaflatenz haben kann. Mit Schlaflatenz wird der Zeitraum bezeichnet, der zwischen dem Ausschalten des Lichtes und dem Eintritt des ersten Non-REM-Schlafes – also vor der ersten intensiven Traumphase – liegt. Meist, so auch hier, wird die erste Non-REM-Phase definiert als ein FĂĽnf-Minuten-Zeitraum, der einige Zeit nach dem Einschlafen eintritt und während dessen der Körper völlig ruhig liegt. Acht Probanden mit leichter Schlaflosigkeit, die hauptsächlich aus Einschlafstörungen bestand, standen zur VerfĂĽgung. Sie bekamen entweder 450 Milligramm Baldrian, 900 Milligramm Baldrian oder ein Placebo. Die Vergabe fand an 12 Nächten innerhalb von drei Wochen jeweils von Montag bis Donnerstag statt.
Im Durchschnitt verkürzte sich dabei die Schlaflatenz bei Einnahme von 450 Milligramm Baldrian von 16 auf neun Minuten. Diese Verbesserung ist vergleichbar mit der Wirkung verschreibungspflichtiger Benzodiazepine. Die höhere Dosierung mit 900 Milligramm brachte keine statistisch Relevanten Verbesserungen mehr, führte jedoch zu einer erhöhten Schläfrigkeit am nächsten Morgen (3).
Bei Schlafstörungen sind Baldrian-Effekte nach zweiwöchiger Einnahme am besten messbar
Ein Team deutscher Wissenschaftler beschäftigte sich mit längerfristigen Effekten der Vergabe von Baldrian. Dazu konnten 121 Teilnehmer mit nicht-organischen Schlafstörungen gewonnen werden. Sie bekamen über 28 Tage ein Präparat mit 600 Milligramm getrockneter Baldrianwurzel oder ein Placebo. Auch hier ließen die Schlaflosigkeitssymptome in der Baldrian-Gruppe signifikant über denen in der Placebo-Gruppe nach.
Die meisten Verbesserungen fanden zwischen dem 14ten und dem 28ten Tag statt (4).
Baldrian wirkt wie Schlafmedikamente – aber mit weniger Nebenwirkungen
Ebenfalls aus Deutschland schließlich stammt eine randomisierte Doppel-Blind-Studie unter 75 Teilnehmern mit nicht-organischen Schlafstörungen, in der die Wirkung von Baldrian mit einem pharmazeutischen Schlafmittel verglichen wurde. Über 28 Tage nahmen die Probanden ein auf 600 Milligramm dosiertes Baldrianextrakt oder ein Medikament mit 10 Milligramm Benzodiazepinen (Oxazepam) ein.
Beide Verabreichungen erzielten die gleiche Wirkung. Allerdings klagten die Teilnehmer der Baldrian-Gruppe ĂĽber weniger Nebenwirkungen (5).
Nebenwirkungen von Baldrian
Trotz allgemein guter Verträglichkeit ist beim Baldrian einiges zu beachten. Baldrian sollte nicht hochdosiert oder über längere Zeit eingenommen werden. Krämpfe können hier die Folge sein und sogar zu lebensbedrohlichen Zuständen führen.
Auch wird von der gleichzeitigen Einnahme von anderen Beruhigungsmitteln, Psychopharmaka oder Alkohol abgeraten. Während der Schwangerschaft und Stillzeit ist eine Zufuhr von Baldrianextrakt ebenso nicht empfehlenswert. Zudem sollte das Extrakt Kindern unter drei Jahren nicht gegeben werden.
Aufgrund der beruhigenden, den Wachzustand beeinflussenden Wirkung, ist auch Vorsicht geboten, wenn in den Stunden nach der Einnahme eine Teilnahme am StraĂźenverkehr geplant ist. Dies gilt trotz der Ergebnisse einiger Studien, die keinen Einfluss auf die FahrtĂĽchtigkeit feststellen (6).
Quellen und Studien zu Baldrian:
(1) MĂĽller, Christa, et al., “Lignans isolated from Valerian: Identification and characterization of a new Olivil Derivative with partial agonistic activity at A-1 Adenosine rezeptors” J of Natural Products 2002; 65, S. 1479 – 85.
(2) Leathwood, P. D., et al., “Aqueous extract of valerian root (Valeriana officinalis L.) improves sleep quality in man”, Pharmacology, Biochemistry and Behavior 17:1982, S. 65 – 71.
(3) Leathwood, P. D., et al., “Aqueous extract of valerian reduces latency to fall asleep in man”, Planta Medica 2:1985, S. 144 – 148.
(4) Vorbach, E. U., et al., “Therapie von Insomnien. Wirksamkeit und Verträglichkeit eines Baldrianpräparats”, PPT Psychopharmakotherapie, Heft 3, 3. Jhrg, März 1996., S. 109 – 115.
(5) Dorn, M., “Valerian versus oxazepam: efficacy and tolerability in nonorganic and nonpsychiatric insomniacs: a randomized, double-blind, clinical comparative study” Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde 7:2000, S. 79 – 84.
(6) Albrecht, M., et al., “Psychopharmaka und Verkehrssicherheit”, ZFA 16, 71. Jhg, 20. 8. 1995, S. 1215 – 28.