Wissenschaftler bezeichnen Vitamin-E-Mangel in Entwicklungsländer als versteckten Hunger und beklagen eine erhöhte Anzahl an Fehlgeburten. Aber nicht einmal in Europa und den USA ist die Versorgung mit Vitamin E als annähernd zufriedenstellend zu bezeichnen: laut einer großen deutschen Erhebung der Daten von 20.000 Menschen haben 50% einen Vitamin E Mangel!
Vitamin E vor und während der Schwangerschaft
In den Jahren 2001 bis 2007 wurde in Bangladesch das sogenannte JiVitA-Projekt durchgeführt. Sein Hauptziel war, herauszufinden, welche kostengünstigen Ernährungsmaßnahmen getroffen werden können, um die Überlebenssituation von Müttern, Säuglingen und auch größeren Kindern in ländlichen Gebieten zu verbessern. Initiiert und federführend durchgeführt wurde JiVitA von der Bloomberg School of Public Health an der Johns Hopkins Universität in Baltimore, Maryland, USA.
An der großangelegten Projekt-Studie nahmen rund 130.000 verheiratete Frauen im gebärfähigen Alter teil. Ihr Schwangerschaftsstatus sowie Gesundheitszustand wurde monatlich erfasst. Unter ihnen kam es bei knapp 60.000 Frauen zu einer Schwangerschaft. Sie wurden über eine sechsjährige Follow-Up-Phase begleitet. Das JiVitA-Projekt fand in drei Stufen statt und die Auswertung der Daten findet bis heute statt, wodurch zahlreiche neue Studien entstanden sind.
Datengrundlage stammt aus Projekt zur Ernährungssituation in Entwicklungsländern
Eine davon beschäftigt sich mit dem Vitamin-E-Spiegel von Frauen während der Schwangerschaft und sein Einfluss auf Fehlgeburten. Zu diesem Zweck analysierte ein Team von Bloomberg-Wissenschaftlern die Daten von 1.605 schwangeren Frauen, die im Rahmen einer Placebo-kontrollierten JiVitA-1-Studie erhoben wurden. Alle Teilnehmerinnen waren zu Studienbeginn in der achten bis 13. Woche schwanger. Damals standen zwar Vitamin A und Betakarotin im Zentrum des Interesses, aber es wurden in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten auch Bluttests durchgeführt, die den Spiegel der verschiedenen E-Vitamine bei den Frauen erfasste.
Auch hinter Vitamin E können nämlich verschiedene Substanzen stecken. Zu nennen sind hier Tocopherole, Tocotrienole, Tocomonoenole und MDT (marine derived tocopherol). Vor jeder Variation gibt es vier Formen: alpha, beta, gamma und delta. Alpha-Tocopherol ist dabei die Form, die die höchste biologische Aktivität aufweist. Zudem wurde im Folgenden wöchentlich die Anzahl der Fehlgeburten aufgezeichnet.
Vitamin-E-Mangel kann das Risiko einer Fehlgeburt nahezu verdoppeln
Demnach kam es bei 141 Frauen oder 8,8 Prozent zu einer Fehlgeburt. In ihrer Bewertung des Vitamin-E-Spiegels konzentrierten sich die Forscher auf Alpha-Tocopherol und Gamma-Tocopherol. Erschreckender Weise wiesen knapp drei von vier der untersuchten Frauen einen Mangel an Alpha-Tocopherol.
Auf Fehlgeburten bezogen, verloren 10,2 Prozent dieser Frauen ihr Kind innerhalb der ersten 24 Wochen der Schwangerschaft. Bei einem ausreichenden Alpha-Tocopherol-Spiegel kam es nur in 5,2 Prozent der Fälle zu einer Fehlgeburt. Ein geringerer Gehalt an Gamma-Tocopherol hingegen verminderte das Risiko einer Fehlgeburt im Vergleich zu hohen Werten leicht.
Ergebnisse zu Vitamin E möglicherweise auf den Westen übertragbar
Zwar werden Frauen in Entwicklungsländern und wohl auch in Schwellenländern typischerweise weder mit einer abwechslungsreichen Ernährung noch mit Multivitamin-Präparaten versorgt. Lediglich eine Vergabe von Folsäure und Eisen gehöre inzwischen zum Standard, wie die die Wissenschaftler ausführen. Dazu ergänzen sie, dass eine weit verbreitete Unterversorgung mit Vitaminen aufgrund einer mangelhaften Ernährungssituation zum versteckten Hunger gehöre und weitreichende Folgen nach sich ziehe.
Die vorliegende Studie zeigt, dass eine gute Versorgung insbesondere mit Vitamin-E-reichen Lebensmitteln vor der Empfängnis sowie in den ersten Schwangerschaftsmonaten von besonders entscheidender Bedeutung ist. Zwar schränken die Wissenschaftler ein, dass ihre Studienresultate möglicherweise nicht auf Frauen in der westlichen Welt übertragbar sind.
Aber auch in westlichen Ländern wird bei Untersuchungen festgestellt, dass die Ernährung viel zu wenig Vitamin E enthält. In Deutschland wurde im Rahmen der Nationalen Verzehrsstudie festgestellt, dass etwa die Hälfte der Menschen aller Altersklassen und sowohl von Mann als auch Frau zu wenig Vitamin E zu sich nehmen.
Quelle: Shamim, A. A., et al., First-trimester plasma tocopherols are associated with risk of miscarriage in rural Bangladesh, Am J Clin Nutr. 2015 Feb;101(2), S. 294 – 301.