Erste Untersuchungen zeigen: Vitamin D könnte bei Multipler Sklerose Angriffe von Immunzellen auf das zentrale Nervensystem verhindern
Wohl über 100.000 Menschen in Deutschland leiden an Multipler Sklerose (MS). Bis zum heutigen Tage ist jedoch nicht geklärt, was genau die Erkrankung verursacht. Weitgehend zugestimmt wird von Wissenschaftlern und Ärzten der Hypothese, dass das Hauptsymptom von MS, entzündliche Herde im zentralen Nervensystem, durch den Einfluss körpereigener Immunzellen entsteht.
Im Norden mehr Menschen von MS betroffen als im Süden
Interessanter Weise ist die Anzahl von MS-Erkrankungen regional stark unterschiedlich. Am häufigsten sind die Menschen in den nördlichsten Regionen der Erde betroffen. Nach Süden hin nimmt die Häufigkeit ab, um dort, wo der Südpol näher kommt, wieder leicht anzusteigen. Das Bemerkenswerte daran ist die Feststellung von Forschern, das Kinder und Jugendliche aus stark betroffenen Gebieten ihr MS-Risiko senken, wenn sie in weniger betroffene Regionen abwandern. Bei älteren Menschen trifft dies leider nicht mehr zu.
Umweltfaktoren für MS mitverantwortlich
Die Schlussfolgerung hieraus kann nur lauten, dass langfristig wirkende äußere Faktoren zumindest einen Einfluss auf die Entstehung von MS haben. Welche Faktoren dies genau sind, bleibt allerdings wiederum unbekannt. Einen möglichen ersten Hinweis darauf könnten Wissenschaftler der Medizinischen Hochschule an der Johns Hopkins Universität in Baltimore, USA, entschlüsselt haben.1
Mit Vitamin D bleiben im Mäusemodel MS-Symptome aus
Unter der Leitung der Neurologin Dr. Anne R. Gocke führte das Forscherteam eine Studie an Mäusen durch. Zeitgleich wurde bei den Nagern durch die Injektion verschiedener Proteine eine experimentelle autoimmune Enzephalomyelitis (EAE) ausgelöst sowie eine hohe Dosis an Vitamin D3 verabreicht. Bei der EAE handelt es sich um ein Nagetier-Modell, das der menschlichen MS sehr nahe kommt. Im Folgenden beobachteten die Wissenschaftler, dass die EAE- beziehungsweise MS-typischen Symptome nicht auftraten.
T-Lymphozyten vom zentralen Nervensystem ferngehalten
Nähere Untersuchungen zeigten, dass wie bei MS eine hohe Anzahl an Immunzellen aktiviert wurde. Konkret handelte es sich dabei um T-Lymphozyten oder T-Zellen, die jedoch nur im Blutkreislauf ausgemacht werden konnten und weniger im Gehirn oder Rückenmark, wo sie nach heutigem Stand des Wissens die entzündliche Demyelinisation oder Entmarkung des zentralen Nervensystems verursachen.
Das heißt, das Vitamin D3, welches im Organismus über 25(OH)Vitamin D3 zur biologisch aktiven Form 1,25(OH)2Vitamin D3 umgewandelt wird, konnte keine Unterdrückung der Immunreaktion bewirken.
Die T-Zellen waren für den Angriff auf das zentrale Nervensystem gerüstet, aber sie wurden von den Regionen des Organismus, in denen sie den größten Schaden anrichten können, fern gehalten.
Vitamin-D-Wirkung nach Zufuhr-Stopp schnell nachlassend – Ein Nachteil, der auch ein Vorteil sein kann
Allerdings weisen die US-amerikanischen Wissenschaftler auch darauf hin, dass dieser Vitamin-D3-Effekt sehr flüchtig ist. Wurde das Vitamin abgesetzt, traten die MS-ähnlichen Schübe schon nach kurzer Zeit bei den Mäusen auf. Darin sehen die Forscher prinzipiell aber auch einen Vorteil.
So ist es denkbar, falls das Modell auf den Menschen übertragbar ist, dass sich ein MS-Patient eine Infektion zuzieht, gegen die die Immunwirkung der T-Zellen kurzfristig ungehemmt freigesetzt werden kann, indem das Vitamin D3 zeitweilig abgesetzt wird. Gebräuchliche MS-Medikamente zur Unterdrückung von Immunreaktionen werden vom Körper erst nach sechs bis 12 Wochen ausgeschieden, was im Falle einer akuten Infektion ein hohes Risiko darstellt.
Ist bald eine Vitamin-D-Therapie gegen MS zu erwarten?
Das Team um Dr. Gocke schätzt jedoch realistisch ein, dass die laufenden Untersuchungen am Mäusemodell gewiss Hinweise liefern können. Ob die Zufuhr von Vitamin D aber auch beim Menschen gegen MS vorbeugen oder den Verlauf der Erkrankung abmildern kann, ist nicht voraussagbar. Als nächsten Schritt schlagen die Wissenschaftler vor, In-Vitro- oder Reagenzglas-Studien mit Zell-Proben von MS-Patienten durchzuführen, um zu überprüfen, ob das Vitamin D auf menschliche Zellen die gleiche Wirkung hat wie bei den Mäusen.
Es wird also noch einige Zeit vergehen, bis gesichert ist, welche Wirkmechanismen von Vitamin D in der MS-Therapie zum Tragen kommen.
Quelle:
- Gocke, Anne R., et al., “1,25-Dihydroxyvitamin D3 selectively and reversibly impairs T helper-cell CNS localization”, Proceedings of the National Academy of Sciences, December 2013, Vol. 110 No. 52, S. 21101 – 21106. ↩