Carnitinmangel und Autismus: Sind Ernährungsfaktoren entscheidender als genetische Veranlagungen? – eine Hypothese, die jetzt von US-amerikanischen Wissenschaftlern überprüft worden ist. Mit interessanten Ergebnissen, die vor allem Schwangere betreffen.
Das Baylor College of Medicine im texanischen Houston, USA, macht seit längerem dadurch auf sich aufmerksam, dass es insbesondere bei männlichen Patienten einen Zusammenhang von Carnitinmangel und häufig auftretenden Formen des milden Autismus feststellt. In der Vergangenheit haben sich die Forscher dabei allerdings auf eine spezielle Genvariation konzentriert. Hintergrund hier ist, dass der Organismus L-Carnitin gewöhnlich selber produziert. Außer, wenn ein bestimmtes Gen, die Epsilon-Trimethyllysin hydroxylase (TMLHE), inaktiv ist. Dadurch wird die Kodierung des Enzyms Trimethyllysine dioxygenase verhindert und die Biosynthese zu Carnitin kann nicht stattfinden. Die Eigenproduktion der Aminosäure Carnitin bleibt also aus.
TMLHE–Genvariation nur bei einem Prozent der autistischen Störungen
In einer vorliegenden Hypothese bestätigen die beteiligten Wissenschaftler zwar die Konsequenzen der TMLHE-Variation, bestreiten jedoch ihre Bedeutung für das Auftreten von Autismus. Das begründen sie wie folgt: Im Rahmen vergangener Forschungen am Baylor College wurde herausgefunden, dass die inaktive Form der TMLHE bei etwa einer von 350 männlichen Personen vorkommt.
Unter ihnen bilden nur drei Prozent eine autistische Störung aus. Damit kommt die TMLHE–Genvariation bei nur rund einem Prozent der Autismus-Fälle vor. Andere Untersuchungen bestätigen dennoch den Zusammenhang zwischen einem Carnitinmangel im Gehirn und dem Auftreten einer milden Form von Autismus. Allerdings muss die Hauptursache dafür woanders gesucht werden.
Hat die Säuglingsernährung den größeren Einfluss auf das Autismus-Risiko?
Die revolutionäre Hypothese der Baylor-Wissenschaftler lautet nun, dass der Carnitinmangel ernährungsbedingte Gründe hat und Veränderungen in der Säuglingsernährung damit bis zu 20 Prozent der autistischen Störungen verhindern können. Tatsächlich kommt es häufig vor, dass Babys symptomfrei geboren werden. Körperliche Untersuchungen sowie Gehirnscans weisen normale Werte auf.
Dann jedoch kommt es manchmal zu einer Rückentwicklung von Verhaltenseigenschaften. Diese Symptome lassen sich grob auf den sechsten bis 18ten Lebensmonat eingrenzen. So haben diese Säuglinge noch im fünften bis siebten Monat ein offenes Wesen mit sozialem Lächeln und interaktivem Verhalten. Bis zum 12ten und teilweise 18ten Monat allerdings geht das normale Sozialverhalten zurück und kommt manchmal sogar vollständig zum Erliegen.
Nahrungsumstellung nach der Ersternährung für Carnitinmangel verantwortlich?
Hier werfen die US-amerikanischen Forscher ein, dass die Carnitin-Versorgung während der Schwangerschaft über die Plazenta gewährleistet wird. Die Babys werden also in der Regel mit gut gefüllten Carnitin-Depots geboren. Auch in den ersten Lebensmonaten ist ein Mangel selten, da Muttermilch und Säuglingsanfangsnahrung reichlich Carnitin enthalten. Zwischen dem vierten und achten Lebensmonat kommt es aber häufig zu einer Nahrungsumstellung. Hier werden milchfreie Lebensmittel wie Früchte, Säfte, Getreide und Gemüse eingeführt, bis sie einen Großteil der Ernährung ausmachen.
Alle diese ansonsten gesunden Nahrungsmittel enthalten jedoch kaum Carnitin. Fleisch, das hier einen Ausgleich bieten könnte, wird gewöhnlich erst später in den Ernahrungsplan aufgenommen. Möglicherweise ist in dieser carnitin-armen beziehungsweise -freien Zeit eine Ursache für die Entstehung milder Formen autistischer Störungen zu sehen. Dazu könnten weitere nicht genetisch begründete Faktoren wie Medikamente und leichte Erkrankungen beispielsweise im Magen-Darm-Bereich hinzukommen, die ebenfalls Carnitin-Reservoirs angreifen.
Erforderliche Studien, um die Hypothese “Carnitinmangel der Mutter erhöht Autismus Risiko” zu belegen
Zur Überprüfung ihrer Hypothese schlagen die Wissenschaftler vor, Familien auszuwählen, in denen eine milde Form von Autismus bereits vorgekommen ist und die Geburt eines vorzugsweise männlichen Babys ansteht. Dabei könnte über die Einnahme einer Carnitin-Ergänzung festgestellt werden, ob das Autismus-Risiko im Laufe der frühkindlichen Entwicklung signifikant abnimmt. Falls das zutrifft, wäre ein starker Beleg für die vorgelegte Hypothese gefunden. In der Folge könnten dann auch Untersuchungen zu empfohlenen Tages-Einnahmemengen angestellt werden, um diese Carnitin-Dosierungen Frucht-, Getreide- und Gemüse-Babynahrungsmitteln zuzusetzen.
Bis dahin bliebt festzuhalten: Eine Nahrungsergänzung mit L-Carnitin kann für Schwangere und während der Stillzeit eigentlich nur Vorteile haben. Im Schlechtesten Falle war die Einnahme unnötig, aber das kann der Mutter nur lieber sein, als unnötige Risiken für die Entwicklung des Kindes einzugehen.
Quelle: Beaudet, A. L., et al., Brain carnitine deficiency causes nonsyndromic autism with an extreme male bias: A hypothesis, Bioessays. 2017 Jul 13, Epub published ahead of print.