US-amerikanisch, dänisches Forscherteam: Effekt gegen Harnwegsinfektionen entsteht aus Wirkstoff-Mix in der Cranberryfrucht
Kein natürlicher Wirkstoff kommt ohne die Einwirkung des Menschen isoliert vor. Immer ist in ihren Trägern eine komplexe Zusammenstellung sich ergänzender, sich regulierender, teilweise aber auch sich gegenseitig aufhebender Stoffe vorhanden. Was so entsteht ist ein unbeschreiblich kompliziertes Geflecht an Wirkstoffen, das sehr wahrscheinlich das Potential hat, gegen jedwedes Leiden ein probates Mittel bereitstellen zu können.
Man kann sagen: Die Natur setzt ausschließlich auf Kombinationspräparate. Wir jedoch stehen, da wir gerade einmal beginnen, die Wirkungen von Einzelstoffen zu untersuchen, noch ganz am Anfang, diese Komplexität zu verstehen.
Bisherige Forschung schreibt Effekt gegen Harnwegsinfektionen Typ-A-OPC zu
Cranberries (Vaccinium macrocarpon) beispielsweise haben sich bei Infekten im Harnwegsbereich als wirksam gezeigt. In der bisherigen Forschung wurden dafür bestimmte Polyphenole verantwortlich gemacht. Dabei handelt es sich um bisher selten isolierte Oligomere Proanthocyanidine (OPC) des doppelt verknüpften Typs A.
Es wird angenommen, dass diese doppelte Verknüpfung im Unterschied zur einfachen des Typ-B-OPC dafür verantwortlich ist, das Einnisten unter anderem von Escherichia coli Bakterien in die Darmschleimhaut zu verhindern. Nach diesem Wissensstand verkleben Cranberry-OPC die haarähnlichen Fimbrien der Bakterien, wodurch die Entstehung eines Biofilms also der Kombination aus Schleim und Mikroorganismen gehemmt wird.
Was passiert bei Einnahme von Cranberriy-Extrakt ohne OPC?
Nun haben Wissenschaftler der Universitäten von Rhode Island, USA, und Kopenhagen, Dänemark, Cranberries unter einem ganz anderen Gesichtspunkt untersucht und dabei wesentliche neue Erkenntnisse gewonnen. Unterstützt wurden sie durch das Unternehmen Ocean Spray. Für ihre Laborstudie verwendete das Forscherteam ein Cranberry-Extrakt, das eben keine Polyphenole mehr enthielt.
Wäre das Typ-A-OPC alleine für den Effekt gegen Harnwegsinfekte verantwortlich, hätte also das “entschärfte” Cranberry-Extrakt keine Auswirkung auf die infektionsverursachenden Escherichia coli Bakterien haben dürfen. Genau das war jedoch nicht der Fall.
Bestimmte Kohlenhydrate hemmen Biofilm-Bildung
Konkret extrahierten die Wissenschaftler Polyphenol-freie Kohlenhydrate aus den Beeren. Dabei stellten sie fest, dass hier hauptsächlich sogenannte Oligosaccharide, Verbindungen aus einer begrenzten Anzahl an Einfachzuckern, vorlagen. Am häufigsten kamen Rückstände der Vielfachzucker Xyloglucan und Arabinan vor. Bei antimikrobiellen Tests zeigten diese Kohlenhydrate eine erstaunliche Wirkung.
Wurden nämlich die Cranberry-Kohlenhydrate auf mit Bakterien infiziertes Gewebe aufgetragen, reduzierte sich die Biofilm-Produktion durch den Escherichia coli Stamm CFT073 um mehr als 50 Prozent. Beim Stamm MG1655 waren es sogar ganze 60 Prozent. Wurden nur Polyphenol-haltige Bestandteile der Beeren ohne Cranberry-Kohlenhydrate verwendet, kam es zu keiner derartigen Hemmung. Als Schlussfolgerung stellten die Forscher daher fest, dass offensichtlich der Wirkstoff-Mix in Cranberries – darunter Polyphenole und Oligosaccharide – sich ergänzende, fördernde sowie verstärkende biologische Wirkungen gegen Escherichia coli entfaltet.
Sie stellen also heraus, dass bei Untersuchungen zur Wirksamkeit gegen Infektionen der Harnwege die gesamte Frucht Gegenstand der Betrachtung sein sollte und weniger isolierte Einzelstoffe.
Quelle: Sun, J., et al., Cranberry (Vaccinium macrocarpon) oligosaccharides decrease biofilm formation by uropathogenic Escherichia coli, J Funct Foods. 2015 Aug;17, S. 235 – 242.