Neuralrohrdefekte wie z.B. Spina bifida, auf deutsch offener Rücken, sind gefürchtete Misbildungen des zwei Wochen alten Fötus. Das Risiko von Neuralrohrdefekten steigt um das etwa Vierfache, wenn die werdende Mutter Folsäuremangel in den ersten Wochen der Schwangerschaft aufweist. Die gemeinsame Einnahme von Folsäure und Inositol kann Auftreten von Neuralrohrdefekten noch effektiver als nur Folsäure alleine verhindern – so das Ergebnis einer klinischen Studie aus England an über 100 Frauen.
Erfahrungen aus Ländern wie den USA, Kanada und Australien bestätigen, dass eine Anreicherung von Grundnahrungsmitteln wie Mehl mit Folsäure zu einer deutlichen Verringerung von Neuralrohrdefekten führt. Die Fehlbildung tritt in der frühen Frühphase der Schwangerschaft auf. Daher sollte Folsäure bereits einige Wochen vor der Empfängnis sowie in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten zugeführt werden.
Im europäischen Raum ist Folsäuremangel sehr verbreitet. Laut Nationaler Verzehrsstudie, einer Untersuchung an über 20.000 Deutschen, nehmen etwa 90% der Frauen im gebärfähigen Alter nicht genügend Folsäure auf (weniger als 200 µg täglich, wobei Frauenärzte als Schwangerschaftsvorbereitung eher 600 µg täglich empfehlen).
Allerdings scheint es so zu sein, dass das B-Vitamin nicht gegen alle Formen eines Neuralrohrdefektes beim Embryo Vorsorge leisten kann. Folge ist, dass die embryonale Entwicklung, insbesondere wenn die Mutter bereits eine Neuralrohrdefekt-Schwangerschaft hinter sich hat, trotz Folsäure-Gabe beeinträchtigt werden kann.
Britische Forscher werden auf Inositol in Verbindung mit Spina bifida aufmerksam
Auf der Suche nach Möglichkeiten, dies zu verhindern, sind Forscher des University College London, Vereinigtes Königreich, auf Inositol gestoßen. In einer kleinen randomisierten, kontrollierten und doppel-blinden Pilotstudie haben sie die Wirkung des vitaminähnlichen Stoffs in Kombination mit Folsäure überprüft. Dazu suchten sie den Kontakt mit 117 Frauen, die in der Vergangenheit ein Kind mit Neuralrohrdefekt zur Welt gebracht haben und erneut schwanger werden wollten.
Voruntersuchungen ergaben, dass unter ihnen 99 Frauen alle Voraussetzung erfüllten, um an der Untersuchung teilzunehmen. Eine verbindliche Einwilligung erhielten die Wissenschaftler aber nur von 47 Kandidatinnen. Diese Teilnehmerinnen bekamen Folsäure in einer Dosierung von fünf Milligramm täglich. Zusätzlich erhielten sie entweder ein Gramm Inositol oder die gleiche Menge eines Placebos.
Nur mit Folsäure einige wenige Neuralrohrdefekte, zusätzlich mit Inositol keine
In beiden Gruppen kam es innerhalb des Untersuchungszeitraum zu 33 Schwangerschaften. In der Folsäure-Placebo-Gruppe waren dies 19 Schwangerschaften, wovon in einem Fall ein Neuralrohrdefekt auftrat. Unter den 14 Schwangerschaften in der Folsäure-Inositol-Gruppe hingegen kam es nebenwirkungsfrei in keinem Fall zu einer Fehlbildung. Darüber hinaus lagen die Daten der Frauen vor, die der Teilnahme an der randomisierten Studie eine Absage erteilt hatten.
Unter ihnen entschloss sich ein Teil dazu, Inositol zusätzlich zur obligatorischen Folsäure-Ergänzung einzunehmen, ein anderer Teil nicht. Insgesamt kam es zu 22 Schwangerschaften. Auch dabei trat in keinem Fall ein Neuralrohrdefekt auf, wenn zur Folsäure Inositol zugeführt wurde. Bei der alleinigen Einnahme von Folsäure wurden zwei Neuralrohrdefekte diagnostiziert.
Durchführung der Studie problematisch – warum sich viele Frauen nicht randomisieren lassen wollten
Auf den ersten Blick ist das ein beeindruckendes Ergebnis zur ergänzenden Wirkung von Inositol gegen Neuralrohrdefekte. Allerdings werfen die Wissenschaftler ein, dass die Resultate nicht aussagekräftig genug sind, da zu wenige Frauen bereit waren, an der randomisierten Untersuchung teilzunehmen. Viele von ihnen lehnten die Aussicht ab, möglicherweise einer Kontrollgruppe zugeordnet zu werden und damit aufgrund der Einnahme eines Placebos eventuell ein Schwangerschaftsrisiko einzugehen.
Das ist natürlich verständlich, obwohl zur Gewinnung signifikanter Resultate Kontrollgruppen unumgänglich sind. Nichtsdestotrotz sollte, so die Studienautoren, das Design zukünftiger Untersuchungen so sorgfältig vorbereitet werden, dass Bedenken ausgeräumt sind und die Akzeptanz unter schwangerschaftswilligen Frauen aus der Neuralrohrdefekt-Risikogruppe höher ist. Nur so kann es gelingen, zuverlässige Daten zu erhalten, die dann vielleicht, ähnlich wie bei Folsäure ab den späten 1980er Jahren, in Zukunft zu einer generellen Empfehlung von Inositol führen.
Andere Studien mit Inositol deuten auch darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit von Schwangerschaftsdiabetes durch Einnahme von Inositol verringert werden kann.
Quelle: Copp, A. J., et al., Inositol for the prevention of neural tube defects: a pilot randomised controlled trial, Br J Nutr. 2016 Mar 28;115(6), S. 974 – 83.